Samstag, 31. August 2013

sieben

Du sagtest mir, du kämst um sieben.
Das klang mir wunderbar ins Ohr.
Von allen Zahlen kam mir sieben
als schönste vor.

Nun steh ich an der Strassenecke
und schaue hin und schaue her.
Wie viele Stunden ich schon warte,
weiss ich nicht mehr.

Doch seh ich, wie die Bäume spriessen,
sie waren kahl noch, als ich kam.
Ich werde zittrig in den Füssen
und ziemlich lahm.

Ich kann die Welt nicht mehr begreifen:
Wird mir die Zeit zu kurz, zu lang?
Bin ich hier auf und ab gegangen
schon jahrelang?

Vom Schädel fallen mir die Haare.
Bin ich im Traum, bin ich verhext?
Entsetzt spür ich am Kinn, wie wacker
der Bart mir wächst.

Schon weht er frei mir um die Backen,
doch ist er silbern schon und weiss.
Ich kann es länger nicht verbergen:
Ich bin ein Greis.

Die Liebe wird mir schnell vergehen,
mein greises Herz wird kalt.
Drum: Wenn du wünschtest, mich zu sehen,
so komme bald!

Günter Eich
(Lied vom wartenden Liebhaber, Gedichte, Suhrkamp)