Montag, 8. Oktober 2012

ein kuss

O wie so lieb, als ich, mein zartes Vöglein, 
dein leise widerstehndes Köpfchen nahm 
und deinen Schelmenmund herzinnig küßte! 
In Anmut löstest du mein Wesen auf. 
Dein Liebreiz übersonnte den Geliebten,
daß er sich gab glückselig-weichen Worts 
und seines Ernstes kindlich-froh vergaß.

Und lange noch, nachdem ich dich verlassen, 
sah ich in tiefer Güte auf die Welt 
und segnete um deiner blauen Augen 
mit einem großen Segen alles Sein.


Christian Morgenstern
(gefunden in: Werke und Briefe, Urachhaus)